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Financial Times Deutschland

WiRo in der Presse

Neue Gashähne im Süden aufdrehen

Neue Erdgas-Lieferanten sollen Deutschland unabhängiger von Russland machen. Die Politiker suchen sie vor allem in Vorderasien und Nordafrika. Hier liegen gut sechs Prozent des Weltvorrats

VON TINA KLOPP

Wenn Klaus Gründler nach der besten Energieversorgung gefragt wird, lautet seine Empfehlung: Erdgas! "Allerdings", so der Energieberater von Wiro Energie & Konnex Consulting, "entscheidet man zwischen Pest und Cholera." Denn der Kampf um die begrenzte Ressource Gas nimmt zu. Noch 60 Jahre sollen die Gasvorkommen reichen, beim Öl sind es nur noch 40 Jahre. Nach dem neuesten Szenario der EU-Kornmission wird der Erdgasverbrauch in Europa von 2005 bis 2020 um 25 Prozent zunehmen.

Währenddessen steigt aber auch der weltweite Verbrauch rasant. "Die Bedingungen auf den Energiemärkten haben sich in jüngster Zeit zu ungunsten Europas verändert. Einer weltweit steigenden Nachfrage steht eine Abnahme der heimischen Förderung entgegen", sagt Alexander Nolden, beim Energiekonzern RWE für Energiepolitik zuständig. Ein aktuelles Papier des Deutschen lnstituts für Wirtschaftsforschung (DlW) besagt, dass erst zwei Drittel der in der EU bis 2020 benötigten Menge durch eigene Ressourcen oder langfristige Lieferverträge gesichert sind. Auch die Bundesregierung hat die Versorgungsfrage ganz oben auf die Agenda ihrer EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 gesetzt. Grundsätzlich liegt die EU strategisch günstig, nahe den großen Vorkommen in Russland, Nordafrika, Vorderasien und im Kaspischen Meer. Doch die Gasförderung konzentriert sich derzeit auf einige große Produzenten, 40 Prozent der globalen Gasvorkommen sind in der Hand von drei Staatsunternehmen:

"Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera"
Klaus Gründler, Energieberater

Russlands riesigem Weltkonzern Gasprom, dessen Börsenwert den von BP und Microsoft bereits übersteigt, Irans NIOC und Qatar Petroleum. Das bringt die EU in die Abhängigkeit von politisch eher instabilen Regionen.

Wolfgang Pfaffenberger, Wirtschaftsprofessor an der International University Bremen und ehemaliger Leiter des Bremer Energie-Instituts, sieht die aktuelle Energiepolitik der EU vor einem Dilemma: "Zum einen will Brüssel den Wettbewerb forcieren, um der Konzentration auf dem Gasmarkt zu begegnen", sagt Pfaffenberger. Auf der anderen Seite büßen die Gashändler dadurch aber an Verhandlungsmacht ein. Wer zudem auf Beteiligungen etwa bei der Erschließung neuer Gasfelder setzt, müsse auch investieren können, sagt er. Große Energieunternehmen seien da klar im Vorteil. "Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt, aber wenige große Unternehmen, die auf der Einkaufsseite tätig werden", empfiehlt er.

Fraglich ist auch, ob Russland auf mittlere Sicht den wachsenden Gasbedarf der EU überhaupt decken kann. Das Land hat sich in seinem aktuellen Energieprogramm ambitionierte Ziele gesetzt: Neben den traditionellen westsibirischen Förderregionen soll die Produktion besonders auf der Halbinsel Jamal und in Ostsibirien zunehmen "Angesichts der bisher zögerlichen lnvestitionstätigkeit ist es allerdings fraglich, ob die sehr ehrgeizigen Ziele im vorgesehenen Zeitrahmen umgesetzt werden können", schreibt das DlW.

Russland öffnet sich ausländischen Investoren wie etwa bei der geplanten Ostseepipeline mit Eon Ruhrgas und BASF oder der Ausbeutung des Schtokman-Gasfeldes nur zögerlich und fordert im Gegenzug einen Einstieg in den lukrativen europäischen Endkundenmarkt. Die Voraussetzungen dafür sind nach Nolden nicht gegeben: "Sicherheit für Investitionen und gleichberechtigte Bedingungen auf beiden Seiten wären dafür nötig. Nolden sieht das Gleichgewicht gestört, zumal Gasprom auch mit Peking über den Bau einer Pipeline von Ostsibirien nach China verhandelt.

Diversifizierung heißt deshalb die Devise. Das DlW rät, Kontakte mit weiteren Lieferanten - im Mittleren Osten und in Afrika - auszubauen, möglichst über enge Beteiligungen. Immerhin gut sechs Prozent der Gasreserven liegen in Afrika - größtenteils in Nordafrika, von wo aus bereits mehrere Pipelines nach Europa führen. Bei Bohrungen in Algerien ist RWE jüngst auf neue Vorkommen gestoßen. Und ab 2011 soll die Nabucco-Pipeline rund 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus dem türkisch-iranisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet nach Österreich schaffen. Der Bau der 3300 Kilometer langen Leitung soll 4,6 Mrd. € kosten. Eine Alternative zur Pipeline ist der Transport von heruntergekühltem, verflüssigtem Erdgas (LNG). Wenn die Alternativen und die Kosten für die Technik abnehmen, könnte es fester Teil der Diversifizierungsstrategie sein.

Langfristig, sagt Berater Gründler, gibt es nur ein wirksames Mittel, die lmportabhängigkeit zu mindern: die Effizienz des Energieträgers zu erhöhen und ihn mit erneuerbaren Energien zu kombinieren. "Nur wer weniger Gas verbraucht, kann von den Lieferanten unabhängiger werden." Die EU hat schon eine Effizienzrichtlinie verabschiedet, die eine Energieeinsparung von neun Prozent innerhalb von neun Jahren fordert. Diese Richtlinie wird gerade in nationales Recht umgesetzt.

Gasvorkommen

Energiemix Flüssiggas soll helfen, die Zahl der Gaslieferanten zu erhöhen und so die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Per Schiff lässt es sich auch aus entfernten Regionen nach Europa transportieren. 2007 will Eon in Wilhelmshaven mit dem Bau eines Flüssiggasterminals beginnen. Auch RWE beteiligt sich an einem Terminal - in Rotterdam.



Quelle: Financial Times Deutschland vom 07.11.2006


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